Wenn man weiße Menschen mit ihrem rassistischen oder diskriminierenden Verhalten konfrontiert, gibt es eine Reihe “klassischer” Abwehrreaktionen. “Oh, danke für den Hinweis, ich achte in Zukunft darauf, dass nicht mehr zu machen”, das wäre wohl eine wünschenswerte Reaktion von Menschen, wenn sie auf ihr eigenes, problematisches Verhalten angesprochen werden. Das gilt vor allem für Reaktionen auf ausgeübte Mikroaggressionen. Also Verhalten, dass für sie nicht auf den ersten Blick rassistisch ist, sondern für die handelnde Person selbst überhaupt nicht problematisch wirkt.

Leider ist eine solche Reaktion nicht der Standard. Im Gegenteil: Sehen sich weiße Personen mit dem Vorwurf (auch nur subtilen) rassistischen Verhaltens konfrontiert, gehen sie oft direkt in eine Abwehrhaltung. Das kann bis hin zu einem kompletten Meltdown oder starker Wut führen. Für uns selbst ist dabei absolut nicht absehbar, wie sich eine Person verhalten wird, was zu ganz eigenen Problemen für uns führt.

Hier haben wir für dich einige häufige Abwehrreaktionen gesammelt, damit du so gut wie möglich gewappnet bist für Momente, in denen du diskriminiert wirst. Vielleicht kennst du sie schon alle in- und auswendig, vielleicht sind dir einige davon bisher zwar bekannt gewesen, aber du kanntest kein Wort dafür.
Selbstverständlich haben diese Reaktionen von weißen Menschen nichts mit dir selbst oder deinem – sehr berechtigten – Ansprechen ihres Fehlverhaltens zu tun. Sie sagen einzig und allein etwas über die andere Person aus und über ihre Unfähigkeit (oder ihren Unwillen), sich ernsthaft mit den bestehenden diskriminierenden Strukturen auseinanderzusetzen.

5 der Abwehrreaktionen, auf die du dich vorbereiten solltest

  • Whataboutism

    Eine klassische Verhaltensweise ist, das angesprochene Thema zu wechseln – zu einem vermeintlich ähnlichen Beispiel, das eigentlich gar nichts mit dem ursprünglich kritisierten Thema zu tun hat. Weist man jemanden zum Beispiel auf das Thema kulturelle Aneignung hin, könnte geantwortet werden: “Aber die Bayern beschweren sich ja auch nicht, wenn Ausländer zum Oktoberfest Lederhosen und Dirndl tragen”. Was die Person hier nicht versteht ist, dass das eine mit dem anderen überhaupt nichts zu tun hat und dass es einfach nur vom ursprünglichen Thema ablenkt. Dabei ignoriert die Person jegliche Insights, die ihr als nicht-betroffener Person fehlen. Anstatt also von dir zu lernen und sich zu entschuldigen, wird abgelenkt. Denn dass der Person nicht zusteht, darüber zu entscheiden, was angebracht ist und was nicht, wenn es sie nicht betrifft, interessiert sie nicht. Wichtig ist für sie, Recht zu behalten.
  • Überspielen und ignorieren

    Manche Menschen versuchen, die für sie unangenehme Situation wegzulachen oder einfach darüber hinweg zu gehen. Ziel ist hier (wenn vielleicht auch nicht bewusst), sich nicht mit der der unangenehmen Tatsache beschäftigen zu müssen, dass man sich gerade falsch verhalten hat. Mit Sätzen wie “Du weißt doch, dass das nur ein Spaß war” oder “Du weißt doch, wie ich das meine”, gefolgt von z.B. “das müssen wir doch jetzt nicht ewig ausdiskutieren“, wird hier versucht, sich versöhnlich zu geben und die betroffene Person als Kompliz:in zu gewinnen, manchmal sogar gegen andere Betroffene. Der Person ignoriert dabei natürlich völlig, dass sie nicht bestimmen kann, wann ihr Gegenüber etwas als witzig oder verletzend bewertet.
  • Verschiebung der Verantwortung (auch Täter:innen-Opfer-Umkehr genannt) 

    Hier geht die Person gar nicht auf die Vorwürfe oder die benannten Gefühle der betroffenen Person ein. Im Gegenteil: Sie fängt an, über die eigenen Gefühle zu sprechen: wie unangenehm und unsensibel es wäre, jemanden als rassistisch darzustellen zum Beispiel oder dass jetzt die gute Stimmung ruiniert sei. Oder, dass man in aller Öffentlichkeit total blamiert wurde. Und ja, diese Person fühlt das wahrscheinlich wirklich so und bemerkt nicht mal, wie unangebracht ihr Verhalten ist, da sie kein Bewusstsein für die Situation von Personen hat, die rassistisches Verhalten ertragen müssen. Daher greift sie direkt auf das für sie Naheliegendste zurück: Die eigenen Emotionen, die geschützt werden sollen.
  • Tone Policing

    Der Ton macht die Musik. Ja, haben wir alle schon mal gehört. Das ist eine ganz hervorragende Reaktion, wenn man sich nicht mit den Inhalten von Kritik beschäftigen will. So kann man einfach darauf hinweisen, dass die Kritik “wohl auch anders vorgetragen werden könnte” oder “wie aggressiv” die Person sei, oder noch besser “dass man Angst bekommen würde” und schon muss man nicht weiter über das eigene Fehlverhalten nachdenken. Dass Menschen, die gerade diskriminiert wurden, überhaupt keine Verpflichtung haben, ihre Reaktion “angemessen” oder “konstruktiv” vorzutragen, ist Menschen, die Tone Policing betreiben, nicht bewusst. Klar, wir finden es auch immer besser, wenn man es schafft, dabei auch noch freundlich oder konstruktiv zu bleiben. Aber verpflichtend ist das ganze gerade nicht. Auch nicht, dass die Kritik wahrscheinlich aus Gefühlen wie Verletzung, Unwohlsein oder maximaler Genervtheit resultiert und man darauf in erster Linie Rücksicht zu nehmen hat.
  • Anekdotische Evidenz

    “Aber einmal, da habe ich erlebt… Und deswegen kann ja gar nicht…” – ergänze hier die Lücken und du hast ein klassisches Beispiel von anekdotischer Evidenz – also einem angeblichen Beweis durch ein einziges Beispiel. Personen, die kritisiert wurden, versuchen dabei, Kritik von Rassismus zu widerlegen, indem sie einzelnen Situationen heranziehen, die sie dann als den ultimativen Beweis dafür sehen, dass deine generell gehaltene Aussage gar nicht stimmen kann. Hierzu gehört auch, Einzelmeinungen heranzuziehen: “Ich kenne aber eine schwarze Person, die es voll ok findet, dass Weiße das tragen.” Oder: “eine Türkin, früher in meinem einen Seminar, die fand auch immer, dass das Kopftuch ein Symbol der Unterdrückung ist.” Diese “Argumente” verkennen natürlich völlig die Realität und zeigen, dass die Person noch nicht bereit ist, sich mit komplexen Strukturen und Zusammenhängen auseinanderzusetzen. Stattdessen greift sie lieber auf diese Art von Erzählung zurück, weil sie zum einen besser ins eigene Weltbild passen und zum anderen deutlich leichter zu verstehen sind.