Wenn wir mit diskriminierendem Verhalten konfrontiert werden, können unsere Gedanken und Emotionen in Turbulenzen geraten. In solchen Momenten ist es hilfreich, ein paar Fragen im Kopf zu haben, die bei einer Entscheidung helfen. Manche kannst du ganz grundsätzlich für dich beantworten, manche sind eher Tages- oder Situationsabhängig.

Das Ziel ist hier natürlich nicht, herauszufinden, wie du dich “angemessen” geschweige denn “richtig” verhalten kannst. Im Gegenteil: uns geht’s erstmal darum, dass du das Beste für dich tun kannst.

Fragen, die du dir stellen kannst, wenn du nicht weißt, wie du auf eine Situation reagieren sollst:

  • Kann dir eine andere Person beistehen?

    Die Angst, alleine dazustehen, kann absolut lähmend sein. Sobald du nur eine einzige Person safe auf deiner Seite ist und dir backup geben willst, verändert das alles. Nimm Blickkontakt auf, oder ruf auch gerne eine Person an deine Seite. Du hast es in der Situation eh viel schwerer als dein Gegenüber – da steht dir jeder Support zu.
  • Wie fühlst du dich heute – unabhängig von der Situation?

    Man hat nicht an allen Tagen das gleiche Level an Energie und Ressourcen. Wenn du das Gefühl hast, heute weniger Kapazität zu haben, dann achte ganz besonders auf deinen Selbstschutz! Vor allem, wenn Personen mit Unverständnis bis hin zu massiver Abwehr auf vollkommen angemessene und richtige Kommentare reagieren, kann das an weniger energetischen Tagen traumatisierend sein.
  • Wie verläuft dein restlicher Tag?

    Kannst du dich der Situation leicht entziehen? Hast du noch etwas geplant, was du auf gar keinen Fall von negativen Vibes beeinflusst sehen möchtest? Oder vielleicht weißt du, dass du später noch in einem supportive Umfeld unterwegs sein wirst, das dir dabei hilft, wieder Kraft zu tanken und auch eine härtere Konfrontation gut zu verarbeiten.
  • Hast du die Möglichkeit, direkt im Anschluss emotionalen Support zu bekommen?

    Auch wenn es dein Tagesplan nicht vorsieht: hättest du die Option, dich im Anschluss an die Situation mit Menschen zu umgeben, die für dich da sind und bei denen du eventuell Dampf ablassen könntest?
  • Wie viel Eskalationspotential hat die Situation?

    Leider kann man das nie 100% abschätzen, da weiße Personen oft unberechenbar reagieren, wenn sie mit ihrem eigenen rassistischen Verhalten konfrontiert werden. Aber manchmal hat man trotzdem ein Bauchgefühl, ob man nach einem kurzen Statement wieder zu einer gemäßigten Stimmung zurückkehren kann, oder ob das zu einem full blown conflict ausarten könnte. Überlege, wozu deine Ressourcen heute ausreichen.
  • Wäre es dir egal, wenn die Situation eskalieren sollte?

    Du musst beim Abwägen nicht an andere denken. Ob sich jemand “deinetwegen unwohl fühlt“ (was by the way ein absolut absurder Vorwurf in der Situation ist), ist nicht dein Problem. Aber du solltest kurz mit dir selbst einchecken: was bedeutet es für dich persönlich, wenn diese Situation jetzt eskaliert? Kannst oder magst du dich mit möglichen Reaktionen auseinandersetzen?
  • Wie belastend könnte es für dich sein, nicht zu sprechen?

    Deine emotionale, gedankliche und natürlich auch körperliche Sicherheit steht immer an erster Stelle. Unter dieser Voraussetzung kann es aber unterm Strich weniger besser für dich sein, überhaupt etwas zu sagen – egal, wie die Situation sich gestaltet. Davon bleibt aber unberührt, dass jede deiner Entscheidungen die richtige ist!
  • Könnte es im Nachhinein noch eine Option geben, die Situation anzusprechen und aufzulösen?

    Manchmal hilft es, kurz zu hinterfragen, ob man nicht auch in einer anderen, vielleicht entspannteren, Situation auf das Verhalten reagieren kann, wenn man sich vielleicht selbst besser fühlt oder sich nochmal drauf vorbereiten konnte. Auf ein: “Warum hast du denn nicht gleich was gesagt?” ist “Weil ich nicht wollte.” eine absolut ausreichende Antwort. Du bist niemandem eine Erklärung schuldig!
  • Könnte es weitere Effekte geben, wenn du entscheidest, zu handeln?

    Kannst du für andere Personen einstehen? Oder kannst du in einem öffentlichen Raum ganz klar weiteren (unbeteiligten) Menschen deutlich zeigen: So ein Verhalten ist niemals zu akzeptieren? Solche Faktoren können empowernd wirken. Und wenn: Wäre es für dich auch ok, wenn dir niemand zur Seite springt? (Leider ist es in der Öffentlichkeit häufig so, dass Leute lieber in der Masse untergehen, als sich für das Richtige einzusetzen und zu unterstützen, auch wenn die Situation eindeutig ist).
  • Fühlst du dich argumentativ fit, um in die Diskussion zu gehen?

    Auch die besten und fachlich korrektesten Argumente können von ignoranten Personen einfach dismisst werden. Aber: Wenn du richtig gute Argumente parat hast, die auch in anderen Situationen schon gut funktioniert haben, kann das Halt geben. Übrigens: Um Menschen ihr rassistisches Verhalten deutlich zu machen, sind auch Totschlagargumente ok.
  • Ist es für dich ok, wenn nicht, wenn deine Argumente und dein Wissen nicht sofort angenommen werden?

    Oft dringt man im erhitzten Moment der Auseinandersetzung nicht durch, aber die Worte können Nachwirkungen haben, wenn die andere Person darüber in Ruhe nachdenken kann. Das bedeutet aber, erstmal eine emotionale Imbalance auf deiner Seite in Kauf zu nehmen. Ist es dir das wert?
  • Wie offen und bereit, auf Kritik einzugehen, wirkt die Person?

    Gerade bei Leuten, die man kennt, kann man manchmal schon ganz gut einschätzen, wie hoch die Chance ist, dass sich die Person wirklich mit deinen Argumenten, aber auch mit deinen Gefühlen auseinandersetzen und dazulernen möchte. Das kann ein wichtiger Faktor sein.
  • Wie gut kannst du Stille aushalten?
Ist es eine Option für dich, einfach gar nicht zu reagieren?
    Oft fühlt sich die Alternative zur Konfrontation noch schlimmer an: Einfach lächeln, so tun, als wäre alles nicht so schlimm, schnell das Thema wechseln und hoffen, dass es einfach vorbei ist. Aber es gibt noch eine Option: Stille. Sich gar nicht zu verhalten, kann auch ein sehr deutliches Statement sein.
  • Hast du das Gefühl, das Ganze ist es dir wert?

    Das Wichtigste zum Schluss: Wie wichtig ist es dir, dir ganz persönlich, dass in der Situation jemand was sagt? Hat die Situation Auswirkungen auf dein Leben, dein Wohlbefinden? Denkst du, der Impact für dich rechtfertigt alle möglichen Konsequenzen? Ist der Mensch für dich so wichtig, dass du das nicht zwischen euch stehen lassen kannst?