Es ist immer schwer, auf rassistisches Verhalten zu reagieren, vor allem, wenn man dem in der Öffentlichkeit unvorbereitet ausgesetzt ist. Auch hier gibt es natürlich nicht die eine Verhaltensregel, die man einhalten kann, aber es gibt ein paar Dinge, die sich auszahlen können, wenn man sie im Hinterkopf behält.
Hier geben wir dir dazu ein paar ganz konkrete Tipps. Aber sie werden natürlich nicht in allen Situationen und für alle Personen perfekt passen. Es kommt immer darauf an, wie die konkrete Situation aussieht und wie gefährlich sie potentiell ist. Und es macht auch einen Unterschied, ob du selbst Diskriminierung erlebst oder Diskriminierung als eigentlich unbeteiligte Person mitbekommst. Auch, ob du alleine unterwegs bist oder gemeinsam mit anderen, ob diese ebenfalls betroffen sind oder nicht, spielt eine Rolle.
So oder so hoffen wir, helfen dir diese Tipps in der Zukunft, Situationen für dich so gut wie möglich navigieren zu können.

first things first: deine Sicherheit ist Prio 1

Deine Sicherheit steht immer an oberster Stelle! Du solltest immer an erster Stelle darauf achten, dass du so sicher wie möglich aus der Situation herauskommst – das gilt selbstverständlich für körperliche Übergriffe, aber auch für deine emotionale Sicherheit. Denn emotionale Traumata, die das Erleben von rassistischem oder anderem diskriminierenden Verhalten nach sich ziehen können, sind dabei ebenso beachtenswert.

Geh der Situation aus dem Weg, wenn du willst und kannst

Bei offensichtlich rassistischen Verhalten macht es total Sinn, eine direkte Konfrontation oder Eskalation zu vermeiden. Häufig haben wir ein ganz gutes Gefühl dafür, ob es überhaupt Sinn macht oder sicher ist, jemanden zu konfrontieren oder überhaupt nur anwesend zu bleiben. Hör auf dein Gefühl, ob eine Person redebereit sein könnte oder ob sie so hass- und vorurteilszerfressen ist, dass sie für keinerlei Argument zugänglich ist oder im schlimmsten Fall komplett eskalieren könnte.
In vielen Fällen ist es deshalb am sinnvollsten, dich der Situation so schnell wie möglich zu entziehen und dich wieder in eine sichere Situation zu bringen.

Dokumentiere die Situation

Falls du es für möglich hältst, dass du das Verhalten später zur Anzeige bringen willst, kannst du die Situation natürlich filmen. Das ist legal, aber kann natürlich als Provokation interpretiert werden und die Gewaltbereitschaft der Person oder Personen steigern. Hör deshalb auf dein Gefühl, ob Filmen für dich sicher ist. Du kannst auch andere, nicht betroffene Personen bitten, die Situation aufzunehmen, wenn das sicherer für dich ist.

Versuch dich nicht provozieren zu lassen

Ja, schon klar. Das ist so viel leichter gesagt als getan. Aber: In einer Situation, in der das Gegenüber nichts mehr will, als dich zu provozieren, kann man einfach nicht gewinnen.
Die traurige Wahrheit ist: in Situationen, in denen wir rassistischem Verhalten ausgesetzt sind, geht es nur darum, die Situationen für uns selbst so glimpflich wie möglich ausgehen zu lassen. Dabei spielt es keine Rolle, ob es ein gewaltbereiter Neonazi ist oder die aggressive alte Frau am Nachbartisch. Gerade bei Menschen, vor denen man nicht direkt Angst hat wie bei einer alten Frau, ist es ein absoluter Balanceakt, wie man reagiert, weil es schnell passieren kann, dass die Person die Situation komplett umdreht und man selbst plötzlich als Agressor:in dargestellt wird. Deshalb raten wir: choose your battles!

Such dir Unterstützung und Schutz

Wenn du verbal oder körperlich angegangen wirst: versuch dir Support zu holen. Am besten geht das bei Menschen, die an dem jeweiligen Ort “etwas zu sagen haben”. Also zum Beispiel Kellner:innen oder Barkeeper:innen in einem Restaurant oder Verkäufer:innen in einem Shop. Also alle Personen, die Hausrecht haben oder von anderen respektiert werden. Diese Menschen können und müssen sogar handeln, wenn in ihrem Verantwortungsbereich etwas passiert und du sie darauf hinweist, dass du angegriffen wirst.
Falls du einen Ort in der Nähe hast, an dem du dir vom Personal Hilfe holen kannst, geh dort hin. Wenn nicht, sprich Leute um dich herum ganz konkret an, dass du ihre Hilfe brauchst. Viele Leute sehen sich oft einfach nicht in der Verantwortung “weil hier ja so viele andere sind” und das führt dann dazu, dass einfach niemand reagiert. Wenn du jemanden aber konkret ansprichst und um Hilfe bittest, ist es sehr viel wahrscheinlicher, dass du Support bekommst. Du kannst zum Beispiel sagen “Sie mit der blauen Jacke”.

Außerdem kann es zum Beispiel sinnvoll sein, Menschen als Zeug:innen zu gewinnen. Das gilt vor allem, sollte es nach dem Vorfall zu weiteren Konsequenzen kommen, aber auch allgemein. Das hilft dir nicht nur dann, wenn es zu einer Interaktion mit der Polizei kommen sollte, sondern gibt dir selbst auch ein bestärkendes Gefühl, wenn andere Menschen klar äußern, dass sie die Situation so einschätzen wie du selbst.

Du kannst die Polizei einschalten

Was sich für weiße Menschen, die auch sonst nicht marginalisiert sind, wie eine vollkommen normale Reaktion anfühlen mag, ist für BIPoC und andere diskriminierte Personen dagegen oft ein totaler Struggle: das Einschalten der Polizei. Machen wir uns nichts vor. Die angeblichen “Freund:innen und Helfer:innen” tragen zu oft selbst ihren Teil zu den diskriminierenden oder rassistischen Erlebnissen bei. Deswegen muss man leider  immer gut abwägen, ob man die Polizei einschalten möchte. Hier hilft immer, wenn man Aufnahmen von der Situation oder Zeug:innen hat. Es kann auch helfen, wenn man die Tatsache, dass es sich um einen rassistisch motivierten Angriff handelt, nicht in den Vordergrund stellt (auch, wenn uns das selbst gehörig gegen den Strich geht, kann es dir in der akuten Situation manchmal helfen).

Spätestens aber, wenn du körperlich angegriffen wirst, solltest du in Erwägung ziehen, die Polizei einzuschalten. Bei körperlichen Übergriffen und anderen schweren Vorfällen kann es weitere Folgen geben, mit denen leichter umgegangen werden kann, wenn die Polizei eingeschaltet wurde. Der Grund dafür ist weniger, dass die Polizist:innen selbst irgendwie helfen könnten, sondern dass eine offizielle Dokumentation des Vorfalls angefertigt wird. Danach wird häufig gefragt, wenn man weitere Schritte einleiten will. Liegt keine offizielle Dokumentation vor, können diese Schritte schwieriger werden.

Solltest du allerdings Probleme mit der Polizei selbst haben, insbesondere mit rassistisch motivierter Polizeigewalt, können wir dir KOP als Anlaufstelle empfehlen.

Wenn nicht betroffene Freund:innen Diskriminierung miterleben

Gerade, wenn viele deiner Freund:innen selbst nie Rassismus erfahren haben, kann es sein, dass sie dich aktiv beschützen wollen, wenn sie bemerken, dass du Rassismus erlebst. Gerade bei Mikroaggressionen kann es vor allem das Umfeld sein, das Gerechtigkeit herstellen will. Natürlich kann es hilfreich sein, wenn nicht betroffene Personen sich einschalten. Und wahrscheinlich würde sich niemand wünschen, dass die eigenen Freund:innen Rassismus einfach so hinnehmen. Aber oft haben nicht-betroffene Personen einfach keine Ahnung, was das für dich konkret bedeuten kann, welche Gefühle damit für dich verbunden sein können und was bei dir ausgelöst werden kann. Als betroffene Person kann das Handeln nicht betroffener Freund:innen deshalb manchmal positiv, manchmal aber auch sehr unangenehm sein, zumal man manchmal einfach nicht will, dass sich die eigenen Freund:innen in Gefahr begeben oder noch mehr Aufmerksamkeit auf eine diskriminierende Situation gelenkt wird, aus der man einfach nur raus möchte. Deswegen: Falls du dich danach fühlst, sprich mit deinen Freund:innen mal in einem ruhigen Moment darüber, was du dir von ihnen wünscht, solltet ihr in eine solche Situation kommen oder möglicherweise noch einmal kommen. Bitte sie zum Beispiel, dass sie in relevanten Situationen einmal kurz Blickkontakt zu dir aufnehmen, um zu checken, ob du dir eher aktives oder passives Verhalten von ihnen wünscht.  Klar, auch hierfür gibt es nicht die eine Antwort, die immer passt. Aber es ist wichtig, dass deine Freund:innen verstehen, dass es in der direkten Situation wichtiger ist, dich und dein Wohlbefinden zu schützen, als ihrem eigenen Gefühl zu folgen.